Freitag, 18. Oktober 2013

Roten Fäden folgen


Ein Ausstellungsbericht von Cécile Trentini

Ich hatte letzte Woche das Glück eine bemerkenswerte Ausstellung im Aarbergerhus in Ligerz (am Bielersee) zu sehen. Unter dem Titel "Kunst-Textil - Roten Fäden folgen" zeigte diese kleine aber feine Ausstellung Werke von 6 Schweizer Künstler und Künstlerinnen: Lilly Keller, Verena Lafargue Rimann + Cristin Wildbolz, Fraenzi Neuhaus, Verena Welten und Jürg Benninger. Die Ausstellung dauerte leider nur 10 Tage vom 3. bis 13. Oktober, so dass sie nicht mehr besichtigt werden kann; ich hoffe aber Ihnen mit diesen Bildern einen "virtuellen" Rundgang durch die Ausstellung zu ermöglichen.

Schon der Eingang in das Aarbergerhus mit dem "Torbogen" von Lilly Keller versprach Witziges und Überraschendes

Um dann gleich mit einem Feuerwerk an verblüffenden Impressionen im ersten Raum weiterzugehen

Wo soll man zuerst genauer hinschauen?

Zum skurrilen, organisch anmutenden Werk von Fraenzi Neuhaus, das aus bestimmt tausenden von Kabelbindern besteht, die um dünne Plastikschläuche geschlungen ein faszinierendes Geflecht entstehen lassen?
Fraenzi Neuhaus, SaitenKörper (2003)

Oder zur Figurengruppe von Jürg Benninger?


Diese Arbeit trägt den Titel "Les Bonnes Hommes" (2012). Ein Wortspiel mit dem Begriff "bonhomme", was so viel wie " das Männchen" bedeutet, im französischen aber männlich ist und der "verweiblichten" Form dieses Begriffes, der wörtlich übersetzt in etwa "die guten Menschen" bedeutet. Im Ausstellungstext wird diese Gruppe als "Männerchor" bezeichnet





Auf mich wirkten diese androgynen gehäkelten Figuren eher beklemmend mit ihren rätselhaftem augenlosen Gesichtsausdruck mit offenem Mund. Männlein oder Weiblein? Gut oder böse? Friedlich oder bedrohlich? Schwer zu sagen.

Witzig und verblüffend die Figur "Prinz Nr. 5" (2002) ebenfalls von Jürg Benninger. Was man auf den ersten Blick für einen blühenden Baum halten könnte,

 

entpuppt sich schnell als kopfüber hängende (Frauen?)figur.


Der Ausstellungstext löst das Rätsel auf und gibt eine Erklärung zu diesem Werk: "In einer seiner älteren Arbeiten greift Jürg Benninger (1966) auf das Märchen von Dornröschen zurück und wählt gewitzt einen jener Prinzen zum Motiv, die glücklos versuchten, zu der schlafenden Schönen durchzudringen und im Dornengestrüpp hängen blieben."

Faszinierend, wie die Blumen und Dornen gearbeitet sind:



Geradezu schlicht und meditativ wirkt im Vergleich das Werk "Verdichtung, 1./2.3." (2012) von Lilly Keller

Aus dem Ausstellungstext: "Lilly Keller (1929) gehört zu den grossen Wegbereiterinnen der Textilkunst in der Schweiz (…) In ihren neuesten Arbeiten hat sie die Beschäftigung mit Werkstoffen wie Polyurethan noch weiter vorangetrieben. In collagenhaften Materialbildern, deren Oberflächenstruktur zum Teil an Webwaren erinnert, integriert sie auch Lichteffekte mit LED-Leuchten."

Weniger meditativ sondern eher witzig, nicht zuletzt wegen dem Titel, fand ich die Arbeit "Mäuse" (2012)



Weiter geht’s in den ersten Stock dieses wunderbaren Gebäudes.

Im Gang trifft man auf ein eindrückliches Werk von Fraenzi Neuhaus. Ich zitiere nochmals aus dem Ausstellungstext: "Fraenzi Neuhaus (1957) hat mit ihrem "Wandlauscher" eine faszinierende Arbeit geschaffen, die beispielhaft zeigt, wie technische Materialien sich mit textilen Techniken zu aussagekräftiger und vielschichtiger Kunst verarbeiten lassen. (…) ein Geflecht aus unbelichteten Filmbändern, das in ohrmuschelartigen Windungen die Wand bedeckt und das theoretisch alles, was im Raum gesagt wird, aufnimmt."


Ebenso faszinierend, wie das Geflecht an sich


Sind die Schatten, die dieses auf die Wand wirft.






Zart, fragil und zugleich kraftvoll in ihrer Präsenz wirkt die "Transparente Gestalt" von Verena Welten


Über dem Türrahmen in den nächsten Raum hängt eine witzige und skurrile Figur von Jürg Benninger
Jürg Benninger, Wir lachen euch zu Tode (2013)

Eine Ankündigung auf die nächste Überraschung: Nur staunen kann man über die Fantasie, den Ideenreichtum und den Witz im Werk "Gloria und ihre Hundchen" (2007) vom gleichen Künstler


Die verschiedenen Gesichter der Gloria...
...und ihre Hunde
Um den farbenfrohen Körper rankt sich der Spruch

"Als ich als Kind schon erwachsen war, lackierte ich meine Nägel rot. Ich war der Königssohn, legte mich in die Badewanne, hielt den Atem an und stieg in den Himmel auf."


Verena Lafargue Rimann (1951) präsentiert ebenfalls ein transparentes Gebilde: eine mit Luft gefüllte Folie, die den Versuch darstellt eben diese Luft einzufangen

Verena Lafargue Rimann, "Plastikfolie, Luft (2007)", "entre le dehors et le dedans il y a 72 possibilités" (zwischen dem Drinnen und dem Draussen gibt es 72 Möglichkeiten )


Bei den Gemeinschaftsarbeiten von Verena Lafargue Rimann und Cristin Wildbolz wäre ich froh um mehr Hintergrundinformationen über die Inspiration bzw. die Intention der Künstlerinnen gewesen. In einem Raum befand sich eine Art Landschaft gestaltet mit von Zeitungspapier überdeckten Objekten


Verteilt auf dieser Landschaft fand man bestickte Stoffstücke, die z.T. wiederum in einer kleinen Installation inszeniert waren




Dem Austellungstext war zu entnehmen: "In ihren neuen Arbeiten ist es das Element Wasser, das die Künstlerin (Verena Lafargue Rimann) beschäftigt. Als Duo CoXFox bestickt sie gemeinsam mit Cristin Wildbolz Taufkissen mit Motiven, die die beiden Künstlerinnen in einer Werft in Island fotografiert haben. Damit greifen die beiden Frauen eine tradierte künstlerische Technik auf. Motivisch verweisen sowohl der Schiffsbau wie auch die Taufe auf das Wasser."

Dennoch blieb für mich die Präsentation der einzelnen Arbeiten, die alle den Titel "hirsch gschtickt" (2013) tragen, etwas rätselhaft und nicht besonders ansprechend.

Eine weitere Serie dieser kleinen Werke war in einem weiteren Raum als Installation an der Wand präsentiert, die ich schon eher zugänglich fand.


Die Kompositionen mit bestickten Stoffstücken und Alltagsgegenständen waren durchaus stimmig

Und von Nahem betrachtet, waren die Stickereien absolut faszinierend

 


Im gleichen Raum befand sich eine Arbeit von Lilly Keller, "Teppichpaket" (1991), die mit der Wahrnehmung und den Assoziationen des Betrachters spielt: eine textile Arbeit, bei der lediglich die Form (ein Teppich) textil ist, das Material (Kunststoff) aber alles andere als stofflich.




und ein weiterer faszinierender SaitenKoerper (2006) von Fraenzi Neuhaus, der mich in seiner leuchtenden Farbgebung und Form stark an eine Muschel erinnerte




Von Verena Welten zwei witzige ebenfalls nicht-textile Arbeiten, die erst durch die Anspielung an ein Werkzeug textiler Verarbeitung zur Textilkunst werden

Verena Welten, Herz-Schnittmuster


Verena Welten, Hirn-Schnittmuster


Die Thematik Herz und Hirn wird in einer eindrücklichen Installation mit dem Titel "Herz/Hirnverbindungen" vertieft. Dazu nochmals aus dem Ausstellungstext: "Verena Welten (1949) hat mit Nadel und Faden versucht, Denken und Fühlen zu einen. In einer älteren Arbeit hat sie Herz und Hirn aus Papier zu einem neuen Ganzen zusammen genäht."




Hinter dem Tisch, auf dem die Herz/Hirnverbindungen liegen, werden Diabilder, die den Arbeitsprozess des Zusammennähens dokumentieren auf eine weisse Styropor Kugel projiziert.


Dadurch entsteht eine Wirkung, wie der Blick durch eine endoskopische Sonde


Ich schliesse den Rundgang ab mit einer weiteren Arbeit von Lilly Keller "Art 4. und 5." (2012)
 





Ich habe nicht alle Exponate dieser faszinierenden Ausstellung fotografiert bzw. in diesem Beitrag gezeigt, aber Sie haben (wenn Sie bis hierher durchgehalten haben…) nun doch fast die gesamte Ausstellung gesehen.

8 Kommentare:

  1. DANKE von Herzen für die grosse Arbeit, alles zu fotografieren und hier im Blog zu dokumentieren. Diese Ausstellung hätte ich gerne live gesehen. Nun durfte ich so mit dabei sein - genial:-)!!!

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  2. halli hallo,
    ein faszinierender eindruck, den du, liebe cécile, hier zugänglich machst. auch wenn ich diese ausstellung gerne im original gesehen hätte, wäre der weg für mich doch zu weit gewesen, wie schön also, dass es dich und das internet mit seinen möglichkeiten gibt.
    ich nehme mal an, dass es sich nicht um eine fest formierte gruppe von künstlern handelt, oder? denn zumindest jürg benninger war mir ein begriff.
    vielen dank für den bericht und die bilder.
    beste grüsse
    gudrun

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  3. Hallo zusammen,

    vielen Dank Cécile, das ist doch eine wunderbare Ergänzung zu der Ausstellung die ich besucht habe. Auch hier die unterschiedlichsten Jahrgänge mit den ausdrucksstarken Arbeiten. Ich bin auf weitere Ausstellungen gespannt, die die große Vielfalt der Textilkunst zeigen.
    Verena Welten habe ich vor langer Zeit einmal in einen Künstlerworkshop in Ungarn kennengelernt.In diesem Workshop waren zahlreiche Künstler und Künstlerinnen aus vielen Ländern Europas vertreten. Das war wirklich eine schöne Sache, da wir eine Woche intensiv zusammengearbeitet haben. Natürlich ging es nicht ohne Spannungen, aber die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Vielleicht grabe ich ja mal die Fotos wieder aus und berichte in einem Beitrag darüber.

    ein schönes Wochenende wünscht euch Gabi

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  4. Hallo Cecile,

    danke für das Zeigen dieser Ausstellung.
    Ich freue mich sehr darüber, Dinge sehen zu können, zu denen es für mich viel zu weit wäre.
    Ich finde euren Blog toll!!
    Rose

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  5. Was für ein super Ausstellung! Dein Bericht ist so toll das ich das Gefühl habe dort gewesen zu sein. Dir und deine Kollege danke ich auch für ein immer wieder interessante und informative Blog!
    mit liebe Grüsse,
    Maria

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  6. Liebe Maria,

    vielen Dank im Namen aller! Uns freut natürlich sehr, dass der Bolg so gut angenommen wird. Ich merke bei mir selber, dass ich die textile Kunst nun noch ein wenig anders wahrnehme als vor dem Blog, einfach weil ich immer überlege, was ist interessant für die Textilbegeisterten und wie kann ich es präsentieren. So kann man an meiner Berichterstattung und an Céciles schon einen Unterschied sehen: ich habe ohne Vorstellung einfach nur zur Wahrnehmung die Fotos in den Blog gesetzt und werde nach und nach über die Künstlerinnen berichten. Cécile hat schon Informationen dazugeschrieben und so ist die Wahrnehmung auch eine andere.

    ich denke, gerade solche Dinge machen den Blog interessant und lebendig. Besonders wichtig ist uns natürlich auch in Zukunft ein intensiver Austausch mit den Leserinnen.

    schöne Grüße Gabi

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  7. liebe cécile
    ich habe deinen blogbeitrag erst jetzt richtig gelesen....ich war ja weg, als du ihn veröffentlicht hast....
    das ist sehr spannend, was du uns da von dieser ausstellung zeigst!
    ich war schon früher an zwei ausstellungen in diesem haus. zum teil waren es die selben künstlerinnen, die jetzt ausgestellt haben. im aarbergerhus muss jemand im wahrsten sinne des wortes die fäden in der hand halten, der/die textilkunstinteressiert ist. wäre spannend zu erfahren, wer diese austellungen kuratiert!
    herzlich
    judith

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  8. Danke für den tollen Bericht über eine Ausstellung, wohin der Weg zu weit für mich wäre. (Obwohl eigentlich sollte ja nie ein Weg zu weit sein?) Aber so hatte auch ich das Gefühl, fast dabeigewesen zu sein. Danke, dass ich mal eine ganz andere Seite der Textilkunst kennenlernen durfte und Namen höre, die ich bisher noch nicht kannte. Wie schön, dass es den Blog gibt. Dankeschön!!!!! LG Anette

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